Arme, Kopf und Beine – und das, was dazwischen liegt

20.12.2009 - 23.1.2010

Sie haften am Rumpf, schlenkern und tanzen, wedeln in der Luft und sorgen für Bodenhaftung. Und darüber, über dem kompakten Zentrum, sitzt der Kopf, mit dem Hals daran angedockt. Zusammengenommen macht diese miteinander verwachsene Kombination von Extremitäten, Torso und Kopf das aus, was wir unter Körper verstehen, als Leib empfinden und je nach Sprachkontext auch als Figur bezeichnen. Ein unendlich komplexer Mechanismus, durchzogen von neuronalen Verbindungen, basierend auf biochemischen Prozessen, angetrieben von physiologischen Vorgängen.

Karin Schwarzbeks Bilder zeigen Figuren, meist weibliche. Überlängte Gliedmassen, Kopfstudien aus ungewohnter Perspektive, einzelne Körperpartien in Nahsicht – reduziert und prägnant, zwischen Andeutung und Ausformulierung pendelnd. Die Malerei umkreist den Bildgegenstand, Pinsel und Farbe tasten sich an den Körper heran. Ein Strich markiert eine Linie, eine Begrenzung, und gleitet dann in die Fläche aus. Schattierungen formen Räume, für die Figuren, um sie herum, erweitern den Bildgrund in die Tiefe, wölben ihn aus sich heraus. Labile Schwebezustände, die immer wieder aus dem Gegenständlichen in die pure, differenzierte Farbe eintauchen und sich daraus wieder in eine körperhafte, materiale Präsenz zurückkatapultieren. Der Prozess verändert den Bildgegenstand: Das vermeintlich Erkennbare kippt, verwandelt sich in eine neue Figuration, die für Sekundenbruchteile klar aufblitzt, um dann abermals in eine anders lesbare Konstellation aus Formen und Farben überzugehen. Anamorphosen ähnlich vereinen die Bilder in sich unterschiedliche visuelle Momente. Die Malerei unterwandert sich immer wieder selbst, balanciert auf dem schmalen Grat zwischen Darstellung und Eigendynamik. 

Zwei beige, braun umsäumte Vertikale, die den türkisblauen Farbgrund durchqueren. Dünne Mädchenbeine in Seidenstrümpfen, anrührend in ihrer ungelenken Eleganz. Aschblonde Rattenschwänze mit aufgedröselten Enden, die noch leicht in der Kopfbewegung nachschwingen. Ambivalente Assoziationen, die nebeneinander Bestand haben, die den verschiedenen Augenblicken der Malerei entspringen: Herantasten an die (mediale) Realität, den Abstand zwischen malerischem Prozess und Bild verringern, die fragile Spannung ertragen, dem Bild seinen (Entwicklungs-)Raum geben.
Eine andere Situation. Zwei kleine Bildtafeln, jeweils am schmalen Pfeiler der Fensterwand platziert, durch die Fenster der Ausblick auf die Landschaft. Eine rotbraune, schwach strukturierte Fläche, die unten an eine weissliche, abgerundete Partie anstösst. Eine schimmernde Körperpartie – eine Schulter? –, die sich vor einen Haarvorhang schiebt. Daneben durchschneidet eine helle, vertikal verlaufende Farbstruktur den dunklen Umraum, in dem markante Pinselstriche eine Kopfform andeuten. Wie ein Grat teilt die Scheitellinie das Bildgeviert in zwei Teile, bahnt sich, vom Nacken her kommend, einen Weg durch die Haarmasse, um dann an der Oberkante aus dem Bild zu streben. (Hinter-)Kopf und Landschaft, Bild und Umgebung: Wechselwirkungen, die sich aufgrund des Ausschnitthaften, des Close-ups der Kopfpartie sowie des «gerahmten» Landschaftsausblicks, unweigerlich einstellen. Ein unendliches Spiel des Herauslesens und Hineinsehens, das immer wieder an den Ursprung – das gemalte Bild – zurückkehrt, sich an ihm reibt und von neuem Anlauf nimmt.

Wir fassen den Körper oft als Hülle auf, für das Innenleben, für physische und psychische Vorgänge und Zustände. Zugleich kommunizieren wir mit ihm, drücken unser Befinden, Gefühle und Regungen durch Gestik, Mimik und Körpersprache aus. Er befindet sich an der Schnittstelle zwischen Innen und Aussen, zwischen äusserer Einwirkung und innerem Hervorbringen. Eine Konstellation, die sowohl durchlässig als auch widerständig ist, die immer in Bewegung bleibt, nie statisch verharrt. Die Arbeiten von Karin Schwarzbek kreisen um Fragen von Körperlichkeit und medialer «Repräsentation», sie lagern sich um die dünne Membran von Identität und allgemein verbindlicher Codierung. Es sind Behauptungen, formuliert in Malerei und Zeichnung, entschlackt und losgelöst von erzählerischen Kontexten. Behauptungen, die immer ambivalent bleiben, die um das gleichzeitige Vorhandensein von Verletzlichkeit und Resistenz, von Flüchtigkeit und Präsenz wissen, die diese Momente suchen und temporär einfangen. Eine Körperhaltung, ein Ausschnitt – die Bildmotive kehren in Varianten, als Bildfolgen wieder. Jedes Blatt, jede Tafel oder Leinwand kratzt an den Stellen, an denen Oberflächen dünn werden. Und doch bleiben die Figuren, die fokussierten Körperteile immer «heil», vollständig in ihrer Erscheinung. Farbe, Striche und Markierungen schieben einander beiseite, ballen sich zusammen, generieren Einblicke, lassen Lücken entstehen. Und legen sich zugleich als umhüllende Gaze auf das Bild, sind Nährboden und Abdeckung, Medium und Gegenstand.

Irene Müller, Dezember 2009