Angela Werlen
16.09.-26.10.2012
Vom Einnisten an einem Ort durch ein Wechselspiel von Annäherung und Distanznahme: Davon erzählen die zu Collagen arrangierten fragilen Zeichnungen und gefundenen Objekte, die Angela Werlen im Le-lieu zeigt. Der Prozess des Sammelns von Eindrücken, Bildern und Fundstücken wird in ihrer losen Verknüpfung sichtbar, die Raum für Assoziationen lässt. Als mögliche Erzählung wachsen die visuellen Verse durch das Palais Bleu, ohne sich aufzudrängen. Ganz im Gegenteil: Sie suchen sich Nischen, spielen sich im Verborgenen ab und fordern den Betrachter und die Betrachterin auf, sich mit einer Aufmerksamkeit für Details zu nähern, wie sie auch in Angela Werlens Arbeiten sichtbar ist.
Ausgangspunkt der Ausstellung ist die Arbeit „Von nah und fern“, die sich im Obergeschoss befindet. Sie ist zugleich Anfang und Zusammenfassung einer offenen Geschichte, in der die Künstlerin von dem Versuch erzählt, ihren Platz im Palais Bleu zu finden. Dazu gehörte vor allem, immer wieder Abstand zu nehmen, um mit einem frischen Blick erneut eine Annäherung zu wagen. So erzählen eine Feder und die Zeichnung eines Vogels von Streifzügen durch die Umgebung, aber auch von längeren Reisen, während die gestickte Zeichnung einen Hinweis darauf gibt, wie Angela Werlen mit dem Haus auf Tuchfühlung gegangen ist: Die Struktur ist ein Bestandteil des Hauses, die sie aufgegriffen und mit Faden fixiert hat, geradezu als wolle sie sich am Gebäude selbst festhalten.
Vogeldarstellungen und Muster des Gebäudes tauchen in verschiedenen Formen in der Arbeit «Seite um Seite» wieder auf. Diese erstreckt sich entlang der Wand vom Obergeschoss bis ins Untergeschoss und ist nur zu sehen, wenn man den Warenlift betritt. Er dient als Fortbewegungsmittel, um dem Erzählstrang zu folgen und unterstreicht so den narrativen Charakter der Arbeit.
Im Lift verdichtet sich die Erzählung, indem sie angereichert wird mit Fundstücken von Spaziergängen – z.B. Teilen von Mohnpflanzen und einer Blume – und Eindrücken verschiedener Reisen. Diese finden in ganz unterschiedlicher und häufig abstrahierter Form Eingang in die Narration, weshalb nur teilweise Rückschlüsse auf den Kontext ihrer Entstehung möglich sind. So verbirgt sich hinter einer scheinbar zufälligen Anordnung schwarzer Punkte das Tramnetz von Amsterdam und was wie ein Archipel aus der Vogelperspektive anmutet, ist tatsächlich der Umriss eines Farbkleckses. Hier fliessen somit ganz neue Geschichten ein, die gemeinsam weiter wachsen, die aber auch einzeln oder im Zusammenspiel mit anderen Elementen betrachtet werden können.
Leichter lesbar sind z.B. Frottagen und Zeichnungen verschiedener Strukturen und Muster, die auf weitere Momente der Annäherung der Künstlerin an das Gebäude hinweisen. Vor allem fordern sie jedoch den Betrachter und die Betrachterin auf, sich selbst auf Spurensuche zu begeben und einen persönlichen Zugang zu diesem Ort zu erleben.
Der Erzählstrang findet im Untergeschoss mit einer Fotografie von Kristallen – dem Erinnerungsstück einer Reise nach Singapur – einen vorübergehenden Abschluss. Doch als würde die Geschichte nicht enden wollen, findet die kristalline Struktur eine dreidimensionale Fortsetzung («Hoch hinaus»): Unterhalb der Treppe breitet sie sich als organischer Körper aus, wuchert entlang der Stufen und sucht sich wachsend ihren Weg nach oben.
Maren Brauner, September 2012
- Appenzeller Zeitung 18.9.2012 / Kristin Schmidt (PDF, 114.4 KB)