Teil 1: Aloïs Godinat / Teil 2: Karin Hueber

Aloïs Godinat 23.8. - 31.10.2009

Die Füsse des Lausanner Künstlers Aloïs Godinat stecken in unterschiedlichem Schuhwerk: Der linke Fuss mit einem schwarzen Turnschuh, der rechte mit einer weiss bemalten, den Fuss umfassenden, Holzkiste bekleidet. Wippend schlägt dieser Fuss einen zufällig komponierten Rhythmus auf den Steinboden. Der improvisierte Takt schallt durch den Gang des Obergeschosses des Palais Bleu. Die im Atelier realisierte Videoarbeit Tempo, 2009 verweist mit ihrer dissonanten Klangstruktur auf vermeintlich unkontrollierte Reflexe des Fusswippens, die in Spielfilmen unrealistisch nervöses und gelangweiltes Warten simulieren. Getaktet sind einzig die in den Niederungen des Gebäudes präsentierten Kunstwerke.

Drei Stockwerke tiefer fächert der Künstler das Repertoire seiner Bildsprache auf: Ein Winkelprofil aus Messing, Ohne Titel, 2009, im Do-It-Yourself Baumarkt erstanden, ist mit einer kleinen Geste verändert in den Raum an die Kellerwand angelehnt. Eine Aussen- und eine Innenwand des gleichschenkligen Werkzeuges sind mit Schleifpapier bearbeitet. Der manuelle Eingriff ist klein aber bedeutend. Der mechanische Schliff lässt die glatte, gelbgolden glänzende in eine poröse, matt reflektierende Oberflächenstruktur verwandeln. Die Veränderung lässt sich erst auf den zweiten Blick als Intervention begreifen.

Ein nach innen gebogenes, rechteckiges Stück Karton, Ohne Titel, 2009 liegt auf dem nackten Kellerboden. Ein zerrissenes Stück Papier, gewaltsam abgekratzt, klebt in Fetzen auf der braunen, konkaven Kartonunterlage. Die psychedelische Malerei der originalen Abbildung lässt sich kaum mehr erkennen. Diese Arbeit reiht sich ein in die als Déchirures – als Risse – bezeichnete Werkserie, bei der vorgefundenes Bildmaterial wie Ausstellungsplakate, Reproduktionen oder gar Originalgrafiken als zerrissenes Fragment an die Wand geklebt, ein Detail ins Zentrum rückt . Einzig ein markantes Element lässt auf die Urheberschaft schliessen, meist Werke von Kunstschaffenden, dessen Arbeiten Godinat sehr schätzt.

Aus einer schief gesetzten Lautsprecherbox, Ohne Titel, 2009, die seit 2005 Godinat an diversen Ausstellungen begleitet und in immer neuer Ausrichtung im Raum ausgestellt wird, ertönt ein virtuoser Schlagzeugrhythmus. Ein in der Lautstärke langsam ansteigender Trommelwirbel hallt vom Vorraum des Kellers die Treppen hoch. Der anschwellende, dichte, volle Klang schlägt in ein anhaltendes, gleichmässiges Geräusch um, endet abrupt und lässt in der Endlosschlaufe gefangen, alsbald leise Schläge der Drumsticks wieder ertönen. Fortwährend wird Suspense erzeugt, die unerfüllt in sich zusammenfällt.

Takt und Rhythmus, Klang und Tonalität als referentiell eingeschriebenes Moment, erkennen wir auch in der Anordnung der präsentierten Werke.

Folgen wir der als Bodenzeichnung ausgelegten Kabelschnur in den Keller, landen wir alsbald im Steinkohleraum. Auf einem Mauervorsprung in gleichmässigem Rhythmus angeordnet stehen sechs Kartons. Maschinell ausgestanzte Leerstellen geben die Sicht auf eine angeschnittene, sich konstant in die Höhe windende Schraubspirale und auf die dahinterliegende vom Russ geschwärzte Kellerwand frei. Das Abbild einer Zeichnung blitzt hervor und gibt sich als Fragment des Ausstellungsflyers zu erkennen. Carton, Carton, 2009 so lautet der Untertitel der Arbeit. Carton, der Bildträger Karton und Carton, das französische Wort für Flyer lässt Godinat zu diesem Wortspiel verleiten. Die Auseinandersetzung mit der Semiotik, mit der Sprache als System von Zeichen ist ein wichtiger Bestandteil seiner Werke.

Die Wort- und Buchstabenfragmente, die sich auf der Kohlestiftarbeit Hisdavbjo, 2009 finden, lassen einem Dada-Gedicht gleich, den ausgesprochenen Buchstabenfolgen keinen Sinn ergeben. Ein sinnfreies Lautgedicht entsteht, dessen phonetische Silben, einzig dem Klang der Konsonanten und Vokalen Gewicht beimisst. Jeglicher Bedeutung befreit, werden die Laute zu dadaistischen Klangbildern zusammengefügt.

Einfache, sogenannte arme Materialien, reduzierte Formen, der Klang von sonoren und dissonanten Klängen, die Auswahl von meist monochromer Farbe, visuelle und akustische Schlichtheit zeichnen das künstlerische Vokabular des jungen Lausanner Kunstschaffenden Aloïs Godinat aus. Seine Bildsprache steht in der Tradition der Abstraktion und Minimal Art, die, dem kunstgeschichtlichen Kanon entlehnt, er raffiniert um eigene Bildfindungen erweitert. Mit treffendem Blick und subtilen Gesten übersetzt er Gegenstände und Motive des Alltags, handelsübliche Erzeugnisse in dezente, fragile Werke. Der Fokus liegt im Detail: die Struktur, die Beschaffenheit, die Form, die Farbe eines Gegenstandes und dessen Präsentation im Raum, dessen Lichtführung und Atmosphäre sind immanent wichtig. Durch kleine Aktionen und Transformationen, durch Aneignung, Kombination und Rekomposition mutieren funktionale Instrumente, Werkzeuge und Objekte zu Kunstwerken. Konsequent und durchdacht entsteht eine konzentrierte Umordnung von Sinngehalt – die Kontextverschiebung irritiert und lässt Objekte dadurch neue Bedeutung erlangen.

Aloïs Godinat (*1978) lebt und arbeitet in Lausanne. Er studierte 2001 – 2005 bildende Kunst an der ECAL / Ecole cantonale d’art de Lausanne. 2008 wurde er mit dem Swiss Art Award, dem Eidgenössischen Kunstpreis und 2009 mit dem Manor Kunstpreis Lausanne ausgezeichnet.

An der Finissage am 31. Oktober 2009 bringen Aloïs Godinat und seine befreundeten Künstlerkollegen Gilles Furtwängler, Jean-Philippe Huguenin, Philippe Daerendinger (Bass, Gitarre, Schlagzeug, Synthesizer) ein Rockkonzert im Gang zur Erstaufführung.

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Karin Hueber 26.9. - 31.10.2009

Im Hausflur des Erdgeschosses im ehemaligen Hauptgebäude des Palais Bleu hat die Basler Künstlerin Karin Hueber zwei ortsbezogene, skulpturale Objekte, counter fragments 1 und counter fragments 2, 2009, installiert.

In räumlicher Distanz stehen sich die imposanten Gebilde im Zwiegespräch, leicht abgewandt, gegenüber. Zwei Holzplatten rechtwinklig zusammengefügt, lassen im Winkel eine halbovale Aussparung und somit eine begrenzte Sicht auf die Umgebung offen. Die Aussenseite des einen Objektes mit schwarzer, glänzender Kunstharzfarbe behandelt, die Innenseite mit rohem, unbehandeltem Tannenholz belassen – die Aussenseite des zweiten Objektes mit reflektierendem schwarzem Acrylglas versehen, die Innenseite mit gelbgrüner Farbe bemalt – nicht nur im Umgang mit der Materialität und Oberflächenbeschaffenheit geben die Skulpturen ihre Dualität bekannt. Gibt die eine mit der Öffnung auf Kinnhöhe, einen begrenzten Ausblick auf die Umgebung preis, versperrt die andere knapp unter der Schulterhöhe den Blick fast vollständig. Die Blickachsen sind unterbrochen, die Perspektive ist eingeschränkt.

Im Durchgang platziert, stellen sich die Objekte bewusst dem Betrachter und den Bewohnern in den Weg, werden Teil des Gebäudes mit seinen verwinkelten Räumen, versteckten Nischen und zahlreichen Öffnungen. Thematisiert werden die veränderte Raumwahrnehmung der gewohnten Wegführung sowie die in die Geschichte des Hauses eingeschriebene beschränkte Rückzugsmöglichkeit der ehemaligen Bewohner des Palais Bleu. Tritt man an das erste Objekt, bei der Haupttreppe gelegen, heran, erkennt man die wiedergegebene Umgebung schemenhaft und diffus, mit kaum erkennbaren Umrissen. Die Struktur des Untergrundes, mit der markanten, groben Maserung des Holzes, wirkt bildimmanent. Das zweite Objekt, im Übergang zum angefügten Rundbau stehend, reflektiert die Umgebung, der Raum spiegelt sich, der Betrachter wird auf sich selbst zurückgeworfen. Die reflektierenden Oberflächen beziehen einen Teil des langgezogenen Korridors und den Betrachter in die Raumwirkung ein. Das Abbild wird neue Bildwirklichkeit.

Gekonnt verdichtet die Künstlerin in ihrer skulpturalen, minimalistischen Installation Architektur und Funktion, Geschichte und Gegenwart des Palais Bleu.

Nach einem 6-monatigen Atelierstipendium in Rotterdam im Jahre 2006 hat sich Karin Hueber in der niederländischen Metropole niedergelassen. Diese geografische Distanz bedingt, dass die Künstlerin vorerst die Örtlichkeiten im Palais Bleu nur virtuell besichtigt. Nach dem Sichten von digitalen Fotografien und Grundrissplänen beschäftigt sich die Künstlerin eingehend mit der Grundstruktur der Räume und untersucht die Proportionen und Volumina. Die ehemalige Nutzung des Gebäudes als Pflegeheim, fliesst als wichtiger Bestandteil in die Recherche und Formgebung ein. Ausgehend von der Architektur des Palais Bleu und dessen geschichtlichen Kontext, entstehen erste Modelle im Studio. Vor Ort ist die Modellskizze konkret geworden und beim heimischen Schreiner in Zusammenarbeit mit der Künstlerin umgesetzt worden.

Karin Hueber setzt einfachste Materialien in skulpturale, ortsspezifische Arbeiten um. Die Materialität und Stofflichkeit von Oberflächen unterstreichen das Formenvokabular des Raumeingriffes. Architektur und ihre innewohnende Raumstruktur werden reflektiert, Grundriss und –fläche, Raumvolumen und –proportionen untersucht. Die Künstlerin denkt über Raumkonstrukte nach, hinterfragt Prinzipien der Wahrnehmung und legt psychische und physische Auswirkungen auf den Betrachtenden offen. Die gewohnte Nutzung und Funktion des Raumes werden hinterfragt, die Beobachtungen des Alltags analysiert, vertraute Sichtweisen aufgebrochen. Paraphrasiert und neu interpretiert werden Ordnungen und deren konstruktiven und raumbildenden Aspekte, ihre Gestaltqualität wie Proportion, Symmetrie und Rhythmus.

Karin Hueber (*1977) lebt und arbeitet in Basel, Berlin und Rotterdam. Sie studierte 2002 – 2005 an der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Basel und wurde 2008 mit dem Swiss Art Award, dem Eidgenössischen Kunstpreis ausgezeichnet.

Nadia Veronese, September 2009